Was die Beziehung Pflanze – Mensch so besonders macht
Wenn es um die Pflege von Pflanzen geht, geht es auch immer um eine Beziehung, hier die Beziehung Pflanze – Mensch. Da meine Pflanze sich nicht akustisch zu Wort melden kann, bin ich auf nonverbale Informationen angewiesen. Hängende Blätter sagen: Ich brauche Wasser, worauf meine Antwort eine Wassergabe ist – ist das alles? Oder gibt es da mehr zu erfahren?
Wenn Sie Lust haben, folgen Sie mir auf meiner ganz persönlichen Suche nach Antworten auf die Frage, was die Beziehung zwischen Pflanze und Mensch so besonders macht.
1. Spiegelung, Hund und Herrchen, Gemeinsamkeiten und das Andersartige – eine wichtige Erkenntnis in der Beziehung Pflanze – Mensch
Sind Ihnen schon einmal Hundehalter aufgefallen, die erstaunliche Ähnlichkeit mit ihrem Vierbeiner aufweisen? Wenn nicht, achten Sie mal darauf! Wir Menschen suchen nach Kommunikationspartnern, die möglichst viel Gemeinsamkeit mit uns haben. Der Maßstab für solche Gemeinsamkeiten sind wir oder besser das Selbstbild, das wir von uns haben. So entsteht ein Widerspiegelungsverhältnis, wie ich es so oft bei Hund und Hundehalter gesehen habe.
Bei Pflanzen ist das nicht so einfach, sie sind uns noch viel fremder als ein Hund. Und trotzdem suchen wir nach Gemeinsamkeiten, auch wenn diese rein äußerlich schwer zu finden sind. Uns verbindet mit der Pflanze vor allemdas Lebendig-Sein. Unsere eigene Haltung dem Lebendigen gegenüber ist damit ein wesentlicher Bestandteil in der Mensch-Pflanzen-Beziehung.
Mit jedem Atemzug verbinden wir uns mit dem Sauerstoff der Pflanzen, sie ernähren uns. Ohne sie können wir nicht existieren. Und trotzdem bleibt uns die Pflanze fremd. Philosophisch können wir im Gegenüber der Pflanze nicht nur unsere eigene Lebendigkeit, sondern auch uns selber mit all unserer eigenen Andersartigkeit erkennen. Eine wichtige Erkenntnis in der Beziehung Pflanze – Mensch ist: Wenn die Pflanze andersartig ist, dann sind wir es auch. Das sollten wir respektieren, oder sollte man sagen: aushalten können?
„Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will.“
(Albert Schweitzer)
2. Die Kulturgeschichte der Beziehung Pflanze – Mensch
In den archaischen Gesellschaften, einer für uns mystischen Zeit, wurden Pflanzen vergöttert, sie waren Teil von Opferhandlungen. Die Pflanzen dienten als Weg, mit der Natur zu kommunizieren. Diese Kommunikation war möglich, weil der Mensch sich als untrennbarer Teil seiner natürlichen Umwelt wahrnahm.
Auch im Mittelalter finden sich Beispiele einer Wechselseitigkeit, z.B. im sogenannten „Gespräch mit der Natur“ oder pflanzenbezogenen Sinnbildern. Immer häufiger suchten die Menschen nach Gemeinsamkeiten mit Pflanzen. Pflanzen wurden Körperorganen, Gemütsverfassungen, aber auch z.B. den Evangelisten zugeschrieben. Noch stand die Gemeinsamkeit zwischen Mensch und Pflanzen an erster Stelle. Jedoch mit jeder Feststellung einer Gemeinsamkeit wurde auch eine Trennung oder Abgrenzung definiert. So ging mit Beginn der Neuzeit die Grundlage für die Partnerschaft in der Beziehung Mensch – Pflanze langsam verloren.
Es beginnt eine Zeit der Entmystifizierung, der Säkularisierung und der Aufklärung. Schleichend verschwindet die Pflanze als „Partnerin“. Auch die christliche Kirche vergisst die Tiere und Pflanzen und wendet sich nur noch den Menschen zu. Gleichzeitig steigt die Bedeutung der Technik und wird zum Megatrend; das heißt, wir erleben die Entwicklung vom Buchdruck über die Dampfmaschine bis zum Computer. Die letzten 200 Jahre sind geprägt durch eine fast ideologische Herrschaft über die Natur. (Vergleiche hierzu: M. Giesecke „Pflanzen als Medium kultureller Kommunikation“ Vortrag 1999). Aktuell gibt es einen Gegentrend: Eine öffentlich diskutierte, neue Haltung zur Natur.
Heute ist es die Naturwissenschaft mit moderner Technik, die uns das ungeahnte Sensorium der Pflanzen offenbart. Pflanzen haben wie wir Menschen Sensoren und verarbeiten Signale, senden Töne aus und speichern Erfahrungen. All das tun sie ganz anders als wir. Damit werden sie wieder spannend als „Kommunikationspartner“, denn gemeinsame Wahrnehmungen werden anders verarbeitet und bewertet und das ist die beste Voraussetzung für ein Gespräch. Also Pflanze: „Wir müssen ‚reden‘!“
3. Was für ein Pflanzentyp sind Sie: Katze, Hund oder doch Bürostuhl?
Dass eine Pflanze unter den bescheidenen Bedingungen bei dem einen wächst und gedeiht, dieselbe Pflanzenart aber unter hervorragenden Bedingung bei dem anderen immer wieder eingeht, ist keine Seltenheit. In meiner Berufspraxis warne ich deshalb davor, persönliche Erfahrung mit Pflanzen leichtfertig zu übertragen. Aber woran liegen diese häufig divergenten Erfahrungen mit Pflanzen? Ein Grund ist sicherlich auch die Pflanze-Mensch-Beziehung. Wenn diese nicht stimmt, nützt der beste Dünger nicht, die Pflanze wird nicht gedeihen. Hier der etwas humorvolle Entwurf von vier unterschiedlichen Typen der Pflanzenbeziehung. Vielleicht finden Sie sich in Teilen drin wieder.
Beziehungstyp „Katze“.
Die Katze braucht uns eigentlich nicht, sie braucht uns nur als Dosenöffner. Wenn sie sich uns dann doch einmal unerwartet zuwendet, ist unsere Freude groß. Diese Beziehung braucht „langsame“ Pflanzen mit sieben Leben und Menschen, die überrascht werden möchten. Die Pflege bezeichnen wir bestenfalls als „liebevolles Vernachlässigen“.
Beziehungstyp „Hund“
Ein Hund ist zeitaufwendig. Wir erwarten bedingungslose Liebe und Hingabe von ihm. Diese Beziehung braucht Pflanzen, die schnell reagieren. Der Mensch erwartet eine sofortige Reaktion. Dafür ist er aber auch stetig am Ball und tut alles, was nötig für das Gedeihen der Pflanze ist. Diese Hinwendung bezeichnen wir als „Helikopter-Pflege“.
Beziehungstyp „Ehe“
Eheleute verstehen sich ohne Worte, sie sind zu 100 Prozent aufeinander eingestellt. In so einer Beziehung wird häufig ein Pflanzentyp schon über Generationen hinweg erfolgreich gepflegt. Eine Pflanze gefunden zu haben, die zu einem passt, macht den Mensch zufrieden und es besteht kein Wunsch nach Veränderung. Die Pflege ist vor allem durch Regelmäßigkeit und Zuverlässigkeit geprägt.
Beziehungstyp „Bürostuhl“
Ein Bürostuhl ist funktional. Er spiegelt den Einrichtungsstil, aber auch den Geldbeutel wieder. Der Mensch stellt hohe Erwartung an ihn, so soll er z.B. gesundheitsfördernd und recycelbar sein. Diese Beziehung benötigt Pflanzen, die gleich mehrere Funktionen übernehmen können, wie z.B. Luftverbesserung, Sichtschutz usw. Die Pflege wird „outgesourct“ und eine Pflanzenversicherung abgeschlossen.
4. Die emotionale Mensch-Pflanzen-Beziehung und die Schönheit der Natur
Unsere Beziehung zu den Pflanzen ist wesentlich älter als die zur Technik und daher tief in uns verwurzelt. Ähnlich wie ein Tier-Baby uns vor Entzücken lächeln lässt, wecken auch Pflanzen in uns positive Gefühle.
Auf Instagram und Pinterest finden sich viele Einträge, in denen Menschen ihre Beziehung zu einer Topfpflanze „posten“. Pflanzen werden im Zeitraffer aufgenommen und offenbaren so eine Dynamik, in der wir meinen, sie besser als Lebewesen erkennen zu können. (#planstergram, #Livingwithplants usw.).
Im Bildband von Frederik Busch: „German Business Plants“ von 2018 erhalten unsere Büropflanzen Namen und Charaktereigenschaften, die auf irritierende Weise zutreffend erscheinen. Wir vermenschlichen die Pflanze indem wir sagen: Sie will Wasser oder Licht – damit unterstellten wir ihr ein uns ähnliches Bewusstsein. Wir drohen unserer Pflanze mit dem Rauswurf und plötzlich wächst sie wieder. Wir haben ein schlechtes Gewissen, wenn wir sie vergessen und sind stolz wie Bolle, wenn sie wachsen. Das alles geschieht in der Beziehung zu unseren Topfpflanzen.
Mit ihnen erleben wird die lebendige Natur auf domestizierte Weise und erinnern uns dabei vielleicht an die unberührte Natur, die wir gerne emotional „Mutter Natur“ nennen. Andächtig bestaunen wir die atemberaubende, bedingungslose Schönheit der Natur und zutiefst berührt können wir dabei wahre Glücksmomente erfahren.
Manchmal scheint mir, dass die Pflanzen in dieser emotionalen Form der Beziehung auf der Strecke bleiben; es geht wieder einmal nur um uns. Ich möchte daher diesen Abschnitt mit zwei Zitaten beenden.
Was sind Pflanzen?
„Sie sind nicht dazu da, das Auge zu bedienen. Sie stehen für sich. Sie entfalten sich nach eigenen Gesetzen. Sie bringen sich aus sich selbst hervor. Sie erzeugen sich in Farben und Formen, die nicht bleiben, wie sie sind. Es sind Werke im Raum und in der Zeit. Jedes Gewächs ist eine Performance. Seine Einheit ist die Veränderung, die Bewegung, die Drehung ins Licht hinein und das Wachsen durch das Licht hindurch. Die Pflanze verkörpert auf diese Weise das Leben. Und weil sie uns so gar nicht ähnelt, weil sie uns fremd bleibt, verkörpert sie das Leben in seiner seltsamen Unverständlichkeit.“
(S. Porombka „Sie Lebt“ 2019)
Vor 350 Jahren schrieb Angelus Silesius:
Die Ros´ ist ohne Warum.
Angelus Silesius
Sie blühet, weil sie blühet.
Sie acht nicht ihrer selbst,
fragt nicht, ob man sie siehet.
5. Sowohl als auch und der zerbrochene Spiegel
Alle diese Ideen und Gedanken, die ich hier versucht habe anzuschneiden, schwingen in der Beziehung Mensch – Pflanze mit. Vielen wird noch mehr dazu einfallen. So erscheint mir diese Beziehung äußerst vielgestaltig, aber auch widersprüchlich. Wir pflegen nicht selten eine liebevolle Beziehung zu unserer Topfpflanze, hegen und umsorgen sie, organisieren Pflanzensitter usw. Nebenbei beißen wir (ohne Schuldgefühle) einer Möhre den Kopf ab. Wer will hier richten? Beides geschieht, sowohl als auch.
„Aller Glaube ist falsch; aller Glaube ist wahr: Wahrheit ist der zerbrochene Spiegel, zerstreut in Myriaden Splitter; und jeder glaubt, sein kleiner Splitter berge das Ganze.“
( K. A. Appiah „Der Kosmopolit“ S.25 2009)
…..vergessen Sie nicht, Ihre Zimmerpflanze von mir zu grüßen!
In diesem Sinne
Ihr Johannes Meyer-Dohm