Bei der Geburt eines Kindes wird gerne ein Baum gepflanzt. Am Ende des Lebens entscheiden sich immer mehr für einen Friedwald und lassen sich unter einem Baum bestatten. Pflanzen begleiten uns unser ganzes Leben und viele Bäume überleben uns. Der Werdegang vom Entstehen und Vergehen zeigt sich in der Natur auf wundervoll schöne Weise. Abgestorbenes ist Basis für neues Leben. Der Tod gehört zum Leben. Wie kann ich das „Memento Mori“ in Bezug zu einer Begrünung setzen, welche ästhetischen Konzepte gibt es dafür und wie können diese mein Leben bereichern? Das möchte ich mit diesem Artikel herausfinden. Keine Angst vor Tod und Verderben, es wird lebendiger und persönlicher als der Titel vermuten lässt und es geht nicht um Friedhofsgrün!
Drei Erzählungen
Ich beginne diesen Artikel mit der Erzählung von drei persönlichen Erlebnissen, die mein Verhältnis zum Thema Tod und Pflanzen geprägt haben.
1. Erzählung: Loslassen
In meinem Garten lebte eine große stattliche Kiefer mit tiefhängenden Zweigen. Eines Tages stand fest, dass sie gefällt werden musste, ihr mächtiger Stamm war morsch.
Ich hatte diesen, meinen Baum, immer als eine Persönlichkeit empfunden, die ich zu kennen glaubte, jedoch nie genau herausfand, woher. Ich setzte mich hin und vertiefte mich in den Anblick dieser schönen Kiefer. Ich erinnerte mich an einen Roman, den ich als Kind gelesen hatte, und besonders bildlich an eine Szene:
Bei trübem regnerischem Wetter steht eine Frau auf einem abgeernteten Acker. Ein kleines Laubfeuer qualmt. Drei Kinder haben unter ihren Röcken Schutz vor der Kälte gefunden. Sie ist allein. Ihr Mann war im Krieg gefallen.
In dieser starken Frau erkannte ich meine Kiefer und konnte mich von ihr verabschieden. Kurz darauf wurde sie gefällt. Ast für Ast wurde abgetrennt und zersägt. Heute denke ich ohne Wehmut und voller Dankbarkeit an die schöne Zeit mit ihr zurück.
Mir ist es, anders als Alexandra in ihrem Song „Mein Freund der Baum“ oder dem kleinen Sése im Roman „Wenn ich einmal groß bin“, gelungen, mich von meinem Baum zu verabschieden. Mir wurde klar, dass das Loslassen-Können die wahre Kunst des Lebens ist.
2. Erzählung: Raum für Stille
Vor Kurzem war ich von einer staatlichen Institution mit höchsten Sicherheitsvorkehrungen in ein mächtiges Gebäude eingeladen worden. Nach der Besichtigung eines Atriums, das es zu begrünen galt, wurde ich in eine angrenzende Nische geführt, den Raum der Stille. „Diesen Raum haben wir neugestaltet. Hier gedenken wir Mitarbeitenden, die verstorben sind. Er wird – besser als gedacht – gut angenommen“, wurde mir erklärt.
Bisher kannte ich solche Räume aus Krankenhäusern und Altersheimen, Orte, an denen der Tod gegenwärtig ist, jedoch nicht aus einem Bürokomplex – einen Bedarf scheint es jedoch auch hier zu geben.
Ich wurde gefragt, wie eine Begrünung für diesen Raum aussehen könnte. Ich empfahl eine zurückhaltende Bepflanzung mit abschirmendem Charakter… meine Gedanken kreisten noch lange um diesen Ort. Ich befürworte diese Idee. Bisher kannte ich aus innovativen Büros Bällebäder, Rutschen, Spielzimmer und Relax-Lounges. Ein Raum der Stille und des Gedenkens hat eine ganz andere Qualität und gibt dem Leben mehr Bedeutung.
Instinktiv entstand hier der Wunsch nach Pflanzen. Als Trostspender? Mir wurde klar, dass es hier um eine tiefere Auseinandersetzung mit dem Leben geht und ein Bällebad am Ende keine ausreichende Befriedigung verschafft.
Ich bin überzeugt, dass Pflanzen an dieser Stelle die richtigen Begleiter sind (siehe hier auch meinen Artikel „Warum wir eine Bürobegrünung brauchen“ und „Beziehung Pflanze – Mensch, ein zerbrochener Spiegel?“ und „Biophilic Design – der Wunsch nach Natur“).
3. Erzählung: Was zählt
Vor langer Zeit habe ich in einem Pflanzengeschäft gearbeitet. Eines Nachmittags kam eine kleine, sehr alte Frau in den Laden. Sie gehörte nicht zu der sonstigen Klientel des Geschäftes, die sich eine angesagte Pflanze für über 500,-DM leisten konnte. Sie sprach mich an: „Ich ziehe nächste Woche in ein Altersheim und ich habe niemanden, der sich um meinen Kaktus kümmert. Kann ich meinen Kaktus zu Ihnen bringen?“
Mich rührte diese Sorge um den Kaktus zutiefst und ich versprach, am nächsten Tag zur selben Zeit den Kaktus in Empfang zu nehmen. Sie kam wie vereinbart, öffnete ihre altmodische Handtasche und überreichte mir einen sehr alten, in Zeitungspapier gewickelten Kaktus. Mit den Worten “Jetzt kann ich gehen“ verließ sie den Laden. Der Kaktus hat noch über 20 Jahre bei mir gelebt, bis er alt und schwach gestorben ist.
Noch heute mahnt mich diese Geschichte daran zu denken, dass, wie man sagt, „das letzte Hemd“ keine Taschen hat und am Ende zählt, wie wir in jedem Augenblick gelebt haben und uns um andere (und sei‘ es ein Kaktus) gekümmert haben. Sind wir uns immer unserer Verantwortung bewusst?
Barock und das Memento Mori
Das Zeitalter des Barocks wird schnell mit überbordendem, ja fast exzesshaftem Genuss und Lebensfreude in Verbindung gebracht. Doch bei genauem Hinsehen erkennt man überall Zeichen des Todes und der Vergänglichkeit. Die adlige Gesellschaft tanzt voll Lebensfreude die Schuhe durch und gleichzeitig beschäftigt sie sich mit der eigenen Sterblichkeit – ein Widerspruch? Vielleicht bedingt sich beides gegenseitig:
Das Leben sehr bewusst zu genießen, es auszukosten im Bewusstsein, dass es endlich und vergänglich ist. Die Gewissheit der eigenen Sterblichkeit prägte das damalige Denken und war ein Motor für die prachtvolle Schönheit des Barock.
Ein kraftvoller, repräsentativer Ausdruck durch ornamentale Fülle lässt sich heute am ehesten mit dem Begrünungsteil des „Urban Jungle“ umsetzen. Dazu passen Gefäße, die barocke Formen in modernes Design übertragen oder sogar Gefäß-Repliken als barockes Zitat. Denken sie beim Arrangieren an ein Stilleben von Rubens oder von Clara Peeters. Das Memento Mori stellt sich von selbst ein, wenn eines Morgens ein welkes Blatt oder ein abgestorbener Ast das Arrangement vollendet.
„In dieser Gegenüberstellung von Memento Mori und Carpe Diem liegt die schönste Metapher unserer menschlichen Existenz.“ (aus „Memento Mori“ von Katharina von Flotow)
Das Konzept Wabi-Sabi und die Schönheit des Vergänglichen und Unperfekten
Wabi-Sabi ist ein ästhetisches Konzept aus Japan. Heute wird es meist mit Kunst, Design und Einrichtungsstil in Verbindung gebracht.
Der Ursprung liegt im Zen-Buddhismus. Die Unvollkommenheit und Vergänglichkeit aller Dinge werden als deren natürlicher Zustand akzeptiert. Das bedeutet nichts zu beschönigen und weniger zu kontrollieren. Diese Haltung und das Erkennen von einer Schönheit im Verborgenen, z.B. in einem Herbstblatt im Geäst eines Baumes oder in einem gemusterten Stück Rinde, macht uns sensibel und fördert ein tiefgründiges Empfinden, das uns glücklich und zufrieden machen kann.
Prinzipien von Wabi-Sabi:
Alles ist vergänglich
Nichts ist jemals fertig
Nichts ist vollkommen
Mit dem Anerkennen dieser Prinzipien kann eine große Last von unseren Schultern fallen. Gerade übertriebener Perfektionismus ist einer der häufigsten Gründe für Burnout.
Wabi-Sabi heißt nicht, keine Anstrengungen zu unternehmen. Wir werden aufgefordert, die unveränderlichen Prinzipien des Lebens anzuerkennen und aufzuhören gegen sie zu kämpfen. Wabi-Sabi verlangt intensiver hinzuschauen und bewusster und – wenn man so will – disziplinierter zu leben. Wabi-Sabi ist ein Gegenentwurf zum Perfektionismus, zur Extravaganz und Oberflächlichkeit.
Gestalten im Sinne von Wabi-Sabi bedeutet, natürliche Prozesse wie z.B. Verwitterung zuzulassen und sie zu feiern, „ehrliche“ Materialien einzusetzen und einen respektvollen Umgang mit allen Dingen zu pflegen. Natürlichkeit und Aspekte des Lebens stehen im Vordergrund. Häufig wird zurückhaltend, fast minimalistisch gearbeitet, um mit wenig Ablenkung den Fokus auf das Wesentliche zu lenken:
Die Schönheit im Verborgenen, die sonst gerne übersehen wird. Und das kann durchaus ein kunstvoll gesprungenes und wieder repariertes Porzellangefäß sein. Die Pflanzen dürfen „verwildert“ sein und eine wunderschöne perfekt-unperfekte Eigendynamik entwickeln.
„Still und bescheiden bietet uns Wabi-Sabi einen Schlüssel zum Glück“ (Annette Lepple aus „Mein Wabi-Sabi Garten“)
Kulturelle Aneignung
Die Suche nach einem ästhetischen Konzept im Umgang mit der Vergänglichkeit führt auch in die Vergangenheit. Denken Sie nur an den aufwendigen Totenkult der alten Ägypter. Aber auch in der Gegenwart werden verschiedene Konzepte gelebt, denken Sie an den Dia de los Muertos in Mexico, ein farbenfrohes Fest, so ganz anders als unser westlicher Umgang mit dem Tod und Verstorbenen. Auch Indien hat einen eigenen Umgang mit dem Tod, der Zerstörung und Erneuerung. Es liegt nahe, sich von diesen Kulturen ästhetisch inspirieren zu lassen. Heute steht schnell der Vorwurf einer kulturellen und religiösen Aneignung im Raum. Wichtig ist daher, im Sinne eines kulturellen Austausches mit Wertschätzung und Respekt zu handeln. Auch wenn viele Diskussionen zu dem Thema „Kulturelle Aneignung“ überzogen scheinen, sollte nicht leichtfertig damit umgegangen werden.
Luft nach oben
Viele Menschen, besonders Hobbygärtner, haben bei einem Besuch im Wald das Bedürfnis, diesen „aufräumen“ zu wollen. Sie würden gerne Totholz entfernen und welkes Laub wegharken, damit alles ordentlich aussieht und nichts Abgestorbenes mehr zu sehen ist. Bei dem Künstler und Theoretiker Zheng Bo habe ich die These gefunden, dass dieses Bestreben, Zeichen der Vergänglichkeit zu entfernen, aus unserer Angst vor dem Tod entspringt. Er empfindet dieses Verhalten als übergriffig, denn der Wald lebt von seinen abgestorbenen Teilen. In der Beziehung zur Natur und Pflanze sieht er daher auf Seiten des Menschen noch viel Luft nach oben.
Das heißt, wir müssen an uns arbeiten. Wenn also Ihr Büro-Ficus sie am Montagmorgen mit einem Muster aus gelben Blättern auf dem blauen Teppichboden beschenkt, reagieren Sie nicht genervt. Halten sie inne. Entdecken sie die Schönheit des zufälligen Musters. Denken sie einen Moment lang über den Kreislauf vom Werden und Vergehen nach, vielleicht zeigt der Ficus bereits junge, neue Blätter. Entfernen Sie mit Sorgfalt und Achtsamkeit die gelben Blätter und entsorgen sie diese in die Biotonne.
„Du kannst Dein Leben nicht verlängern, nur vertiefen.“
(Martin Buber)
Pflanzen, Tod und die Schönheit des Vergänglichen, für mich ein überaus spannendes, aber auch intimes Thema mit Tiefgang. Wenn Sie Lust haben, nehmen Sie den Faden oder die „Blütenspur“ auf. Versprechen Sie mir, dabei heiter und gelassen wie eine Birkenfeige zu bleiben!
In diesem Sinne,
bis bald